Urlaub oder doch Sabbatical?

01.05.2021 ( Morteratsch, Pontresina, GR )

Lesedauer: 4min

Wenn ich Leute antreffe und ihnen sage, dass ich eine Firma habe und mir ein halbes Jahr Urlaub gönne, dann sagen die meisten: «Ah, machst du ein Sabbatical?»

Ich wusste dann jeweils nicht, was ich jetzt antworten sollte. Ein Sabbatical tönt so nach etwas Nützlichem, vielleicht auch nach einem Spürchen intellektueller Anstrengung.

Inzwischen habe ich mich schlau gemacht: Ein Sabbatical bezeichnet eigentlich nur eine längere Freistellung nach einem längeren Zeitraum «Arbeit». Von Professoren in den USA wurde der Begriff stellvertretend für ein Forschungssemester oder Freisemester benutz, in welchem man sich wieder mal vertieft mit einem Forschungsthema auseinandersetzen kann. Also doch etwas Arbeit und etwas Anstrengung.

Das passt eigentlich nicht so recht zu dem, was ich die letzten 6 Wochen gemacht habe, bin ich doch eigentlich spasseshalber mehrheitlich mit Freunden im Hochgebirge rumgekrackselt, um draussen in der Natur zu sein, mich zu bewegen, Abenteuer zu erleben und Ski zu fahren.

Inzwischen hat sich die Situation allerdings etwas geändert. Ich sitze bei 4°C und Schneefall in einem Zelt in Pontresina. Nun ja, das ist nicht gross anders, als die letzten 6 Wochen, nur habe ich mitlerweilen, mit meiner Stirnlampe beleuchtet, drei Sachbücher aus der Bibliothek vor mir.

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Heute Mittag habe ich für Luftaufnahmen Flugrouten auf meine Drohne programmiert, basierend auf extrahierten Geländemodellen des Morteratschlgetschers und morgen früh versuche ich, Zeitrafferaufnahmen von schmelzendem Schnee zu machen. Ich habe mein Zelt umgebaut, damit ich auch im Schnee campieren kann, sowie kleinere 3D-Druckteile konstruiert, die mir die Arbeit mit der Drohne und meiner Fotoausrüstung unter schwierigen Bedingungen erleichtern.

Ich habe mich schlau gemacht, wie man selbst Trockennahrung herstellen kann und bin daran diese Pakete für die nächsten Wochen vorzubereiten und zu probieren. Einen empfehlenswerten Artikel dazu findet man hier.

Des weiteren versuche ich, einen Besuchstermin auf der Alpinen Forschungsstation der Uni Basel auf dem Furkapass zu bekommen und kläre gerade, was für Ausrüstung & Bewilligungen ich brauche, um die Permafrosthölen im Jura zu besuchen. Ausserdem versuche ich meinem Dokumentarfilm eine Struktur zu geben, zu überlegen welche Gletscher-Themen wichtig und interessant sind, welche sich gut in eine Geschichte verpacken lassen und recherchiere, wo ich all die entsprechenden Orte finde und wann sie am besten wie zugänglich sein werden. Der Mai-Dauerregen kommt mir also eigentlich etwas gelegen, denn es gibt für den Sommer viel vorzubereiten und zu recherchieren, dazwischen mal eine Feuerwehrübung oder einen Einsatz. Langweilig wird mir trotz des Regens nicht.

Ein paar Eindrücke dieser Zwischensaison sind in der Galerie zu finden.

Ob das was ich gerade mache, nützlich ist oder sein wird, weiss ich noch nicht; aber ein «Spürchen intellektueller Anstrengung» lässt sich erkennen, wenn auch, in mir eher fachfremden Themenbereichen. Auch wenn man als Aerosoltechniker über die Atmosphärenphysik schnell mal bei der Meteorologie und Klima landet, ist der Weg zur Geografie und vor allem zur Botanik der Kryosphäre doch noch sehr weit. Trotzdem finde ich es noch erfrischend, mal ein Paper von einem fachfremden Forschungsbereich zu lesen und zu sehen, mit was für Problemen man sich in anderen Gebieten so herumschlägt. Als Aerosol-Mensch habe ich natürlich das Gefühl, dass mein Themenbereich der fieseste ist, weil Theorie und Praxis erst mal nie zusammenpassen. Beim Lesen anderer Literatur bin ich mir da aber inzwischen nicht mehr so sicher.

Es ist trotzdem, oder gerade deswegen, unglaublich interessant. Mit dem Bewusstsein, dass man nicht alles, was man liest, unbedingt im Kopf behalten muss, weil es für die Arbeit wichtig ist, lässt sich diese teilweise doch komplexe Literatur etwas leichter lesen.

Der Begriff Sabbatical ist also nicht mehr unbedingt falsch. Ob meine Auszeit so nützlich ist, wie sich das amerikanische Professoren vorstellen, bezweifle ich aktuell noch. Aber das ist in meinem Fall ja auch nicht das primäre Ziel.

So, jetzt warte ich auf besseres Flugwetter und hoffe, dass die Geländemodelle und meine Flugberechnungen stimmen, sonst bekomme ich bald eine neue Drohne.