Lawine
Lesedauer: 8 min
23. März 2021 ( Blanc de Moming, Anniviers - VS
)
Dass in diesem Blog einmal das Thema Risiko im Bergsport zum Thema wird, darüber war ich mir sicher. Dass es in den nächsten 6 Monaten mal eine brenzlige Situation geben wird, darauf war und bin ich mental vorbereitet. Nicht weil ich plane leichtsinnige Dinge zu tun, sondern einfach, weil ich längere Zeit im hochalpinen Gelände unterwegs bin. Man muss ehrlich sein, es gibt im Alpinismus einfach Gefahren. Es muss nicht gleich Steinschlag oder eine Lawine sein, es kann Banales sein, wie ein falscher, blöder Tritt an einem ungünstigen Ort oder ein Griff an den falschen Stein. Dass das Thema jetzt aber in diesem Ausmasse schon so früh an mich herantritt, verunsichert mich zugegebenermassen etwas.
Ich habe mir lange überlegt, ob ich über die nachfolgenden Ereignisse einen Blogeintrag schreiben sollte oder nicht; ob es überhaupt ethisch vertretbar ist, ein solch schweres Ereignis öffentlich zu erläutern. Ich bin mir diesbezüglich immer noch nicht so sicher. Es einfach zu verschweigen wäre meiner Ansicht nach, neben all den Hochglanzfotos und der heilen, tollen Welt auf dieser Webseite, aber höchst unehrlich: Meinem Umfeld und auch mir selbst gegenüber. Solche Ereignisse zu reflektieren ist unabdingbar, auch wenn es schmerzhafte Fragen aufwirft.
Aus Respekt vor den Beteiligten bleibe ich in meinen Ausführungen zum Hergang möglichst knapp. Die nachfolgenden Gedanken sind meine persönlichen. Falls du dich daran störst, dann melde dich unbedingt bei mir!
Unsere heutige Tourenetappe führt uns von der Cab. Mountet zur Cab. Arpitettaz. Zuerst ein Aufstieg zum Dôme de Blanc de Moming, danach eine Gletscherabfahrt über den Glacier de Moming. Dazu gibt es verschiedene Routen: Eine mögliche Route führt über den etwas ausgesetzten relativ langen Grat Arête du Blanc (West-Grat des Zinalrothorns ),- der andere Weg via Südwest-Rippe des Dôme de Blanc de Moming. Da wir immer noch mit erheblich Wind rechnen müssen, entscheiden sich die beiden Bergführer für die weniger ausgesetzte Route über die Südwest-Rippe des Dôme de Blanc de Moming.
Nach dem Frühstück trödle ich rum und brauche viel Zeit,
bis ich alles richtig gepackt habe. Dann muss ich auch noch auf die eisige Aussentoilette.
Ich ärgere mich, dass meine Kollegen schon wieder in der Kälte auf mich warten
müssen. Ich bin am Morgen einfach schlecht organisiert und nicht der Schnellste.
Die andere Gruppe mit Bergführer ist bereits vor ca. 20min losgelaufen. So steigen
wir in gemächlichem Tempo im Schatten der Berge erst flach, dann zunehmend
steiler, in einer grossen Rechtskurve Richtung Gipfel. Da Angi ja keine
richtigen Harscheinsen hat, nimmt sie Janik im oberen Bereich ans kurze Seil. Beide
schnallen die Skier auf den Rücken und gehen mit Steigeisen weiter. Anders
kommt Sie das harte Firnfeld des Glacier du Besso nicht hoch. Wir andern laufen
im Zickzack weiter mit den Harscheisen an den Skiern. Weite Teile des Hanges sind
über 30° steil, deshalb bleiben wir in der linken etwas flacheren Hälfte des
Hanges. Wir sind inzwischen auf 3300m. Das Lawinenbulletin ist auf Stufe 3 in
den Expositionen West über Nord bis Ost, oberhalb von 2200m. Vorherrschendes
Lawinenproblem sind, wie in den letzten Tagen auch „Altschnee“ und „Triebschnee“.
Oben am Glacier du Besso müssen wir zu einem kleinen Felsband auf die rechte
Hangseite traversieren, wo wir zur Sicherheit 15m grosse Entlastungsabstände
zwischen uns lassen. Die Gruppe vor uns hat es uns gleichgetan. Wie bereits in
den vergangenen Tagen stehen wir aber auf vermeintlich festem und kompaktem
Schnee.
Beim Felsband angelangt, beginnen auch wir die Skier gegen Steigeisen zu tauschen und machen unsere Ausrüstung dahingehend bereit, die kleine Kletterpartie mit den Skiern auf dem Rücken in Angriff zu nehmen. Da Janik und Angi bereits früher auf die Steigeisen gewechselt haben, klettern sie direkt hoch, um dann oben auf dem Geländerücken in der Sonne eine Pause zu machen. Ich höre etwas rumpeln, schaue in den Gegenhang, ob sich irgendwo was löst, sehe aber nichts und schiebe das Geräusch aufs Militär, das mit den F/A-18 hier dauernd Krach macht. Ich, Jasmin, Florian und Alex nehmen die Kraxelpartie nun auch in Angriff und steigen langsam das Felsbändchen hoch. Oben angelangt steuere ich zu den Leuten hin, die sich oben versammelt haben und den fortlaufenden Hang betrachten.
Ich sehe ein ausgelöstes Schneebrett im Hang, rechne aber natürlich nicht damit, dass das erst ein paar Minuten vorher passiert ist.
Die beiden Bergführer versuchen mit den Skiern zum Verunfallten herunterzufahren. Ein Notruf wurde bereits abgesetzt. Die Bergführer und die sehr schnell anwesenden Rettungskräfte der Air Zermatt konnten unterhalb der Felswand allerdings nur noch den Tod der Person feststellen.
So stehen wir da und uns dämmert, dass wir gleich wie die vorausgehende Gruppe, auf derselben Route in den offensichtlich breitflächig äusserst instabilen Hang hinein marschiert wären. Ich habe den Hang vor dem Abgang nicht gesehen, aber ich denke nicht, dass es auch für uns, nach unseren bisherigen Erfahrungen mit der Schneedecke, irgendeinen Grund gegeben hätte, den Hang nicht zu begehen. Das Entsetzten über die Konsequenz ist gross, die Sache ist nicht mehr zu retten, es ist passiert.
Ich versuche mich nützlich zu machen, aber viel mehr als unsere Ausrüstungsgegenstände für die Ankunft des Helis zu sichern und die Angehörigen zu betreuen, kann man auch nicht mehr tun.
Überraschenderweise
haben wir hier Empfang und ich schreibe meiner Familie eine knappe Nachricht,
dass bei uns alles in Ordnung ist. Womöglich taucht in irgendeinem Newsportal
eine Meldung auf. Ein Hubschrauber bringt Janik wieder zu uns hoch und wir müssen
beraten, was nun mit uns geschieht: Weitergehen ist keine Option, in unserem
jetzigen mentalen Zustand mit den Skiern runterfahren, ist wohl auch keine gute
Idee. Schlussendlich beschliessen wir: Wir lassen uns von der Air Zermatt mit
zwei Hubschraubern evakuieren und in die Cab. Mountet zurückfliegen, um uns
dort erst etwas zu sammeln. Als uns die
Hubschrauber unweit der Hütte abgesetzt haben, wird es still um uns herum.
Wir versammeln uns vor der Hütte, unsere Köpfe sind sturm. Es ging alles so schnell, von einem perfekten Tag zur Katastrophe – und das innerhalb weniger Minuten. Bevor wir wussten, wie uns geschieht, sitzen wir nun wieder hier unten bei der Hütte. Wir beginnen zu reden, es gibt viele Fragen, denn die meisten von uns haben das Ereignis nicht direkt gesehen. Wir versuchen in Ruhe den Hergang aus den einzelnen Bruchstücken für uns zu rekonstruieren und versuchen zu verstehen, was da passiert ist. Es ist sehr unangenehm zu realisieren, dass wir wohl in denselben Hang hinein marschiert wären, was, wie man nun weiss, ein riesiger Fehler gewesen wäre. Es hilft mir allerdings, dass niemand versucht, diese Tatsache schönzureden und wir uns das ehrlich eingestehen. Es hätte auch für uns böse enden können. Die drückenden Fragen in unseren Köpfen sind: Wie konnte es so weit kommen? Hat man diesen Hang sträflich unterschätzt? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen ist schwierig, denn müsste man sich eingestehen, hier einen vermeidbaren, schweren Fehler gemacht zu haben, wäre das ein schwer verdaubarer Brocken. Womöglich hat man sich durch die bisher sehr kompakte Schneedecke und das im Vergleich zu den Vortagen leicht abgeschwächte Lawinenbulletin, in falscher Sicherheit gewiegt. Vielleicht aber konnte man die so ausgeprägte Instabilität dieses Hanges und vor allem die Grösse dieses Abgangs auch wirklich nicht erahnen. Warum dieser Hang anders war als alles, was wir bisher in verschiedensten Expositionen angetroffen haben, werden nun Gutachter und Experten analysieren. Und dann ist da noch das Gerücht mit dem Sahara-Staub, dass dieser sich negativ auf die Schneedecke auswirkt. Bevor man das aber leichtfertig ihm in die Schuhe schiebt, sollte man die Berichte abwarten.
Für den Moment finden wir leider keine für uns abschliessenden Antworten, aber zumindest haben wir jetzt aufgrund des Austausches in der Gruppe eine gemeinsame Vorstellung davon, was eigentlich im Detail passiert ist.
Janik fragt uns, wie es uns so geht und wie wir nun weiter machen möchten? Noch so eine schwierige Frage. Darf man nach so einem Ereignis überhaupt weiter machen? Auf jeden Fall möchte ich jetzt nicht nach Hause, allein in meine Wohnung zurück. Die Gruppe ist einfach toll. Wir sind und waren in den letzten Tagen ein gutes Team, das gibt nun Halt. Ich merke das bereits. Etwas Bewegung könnte sicher auch helfen, die ganze Sache zu verdauen. Zudem würde der gewohnte Tagesablauf einer solchen Tour auch etwas Struktur geben, wenn wir im Kopf etwas verloren sind. Die Hüttenwartin meint, wir können hierbleiben. Wir entscheiden uns dazu, heute hier in der Hütte zu bleiben, morgen ins Tal hinaus Richtung Zinal zu fahren und von dort in die Tracuit Hütte aufzusteigen und so die Arpitettaz Hütte auszulassen. Eins nach dem andern, mal schauen, wie das so geht. Aufhören können wir immer noch und jederzeit.
Es ist Mittag, wir lösen unsere Diskussionsrunde auf, um etwas zu essen. Die Hüttenwartin stellt uns ihr Telefon zur Verfügung, damit wir telefonieren können, wenn wir möchten. Hier bei der Hütte gibt es keinen Natel-Empfang. Ich weiss aber gar nicht, was ich denn am Telefon sagen soll. Es ist sowieso eine Frage, die mir nicht aus dem Kopf will. Wie soll ich das meinem Umfeld erklären? Soll ich sagen, dass es einen schweren Unfall gab, aber ab jetzt aber alles sicher ist und sich niemand Sorgen machen muss? Das ergibt irgendwie keinen Sinn. Ausserdem kommen dann all die Fragen, auf die ich selbst noch keine Antworten habe. Telefonieren ist mir gerade unangenehm. Womöglich ist es besser, die ganzen Geschehnisse in Ruhe an einem Tisch zu besprechen, nachdem ich mir das alles selbst nochmals durch den Kopf gehen lassen konnte. Allerdings stelle ich fest, dass meine Nachricht an meine Familie heute Morgen eher knapp war und dass man das womöglich nicht in den richtigen Zusammenhang setzt. Besonders dann, wenn evtl. erst morgen etwas in den Nachrichten kommt. Die Frage bleibt: Wen soll ich nun wie informieren?
Da uns das
Rumsitzen nach einer gewissen Zeit nervt, entschliessen wir uns, die Skier nochmals
anzuziehen und ca. 300m oberhalb der Hütte zu einem kleinen Pass aufzusteigen,
wo wir Natel-Empfang haben werden. Auch wenn meine Knie noch etwas weich auf
dem Schnee stehen, die Bewegung, das draussen sein, die Sonne, die Gruppe tut
gut, es gibt etwas Normalität zurück.
Als wir den kleinen Pass erreichen, versuche ich mich krampfhaft zu erinnern,
wem ich alles genauer erzählt habe, wo uns die Tour durchführt und schreibe diesen
Leuten eine kleine Info, dass bei uns alles i.O. ist, falls man etwas in den
Nachrichten liest. Ich hoffe, dass sich niemand Sorgen macht. Als wir den Blick
weg von unserem Handys lenken, sehen wir einen Bartgeier über uns kreisen. Ein
schönes, aber in diesem Moment zugegeben ziemlich makabres Ereignis.
Später in der Hütte freuen wir uns über das leckere Nachtessen, reden nochmals über die Sache und langsam auch wieder über andere Themen. Einschlafen ist nicht leicht, aber der Tag war so anstrengend, irgendwann fallen die Augen trotzdem zu.
Es waren heute sehr viele Schutzengel am Werk, es hat leider nicht für alle gereicht. Das ist sehr traurig.
-------------------------------------
Nachtrag 6. Feb. 2022
Das SLF (Institut für Schnee- und Lawinenforschung) hat im Rahmen seiner jährlichen Auswertung von Unfall- und Schadlawinen auch eine Analyse dieses Unfalls veröffentlicht. Der Bericht analysiert den Vorfall lediglich in Bezug auf die Lawinen- und Schneesituation am Unglücksort und macht dementsprechend keine Aussage über ein mögliches Fehlverhalten. Trotzdem scheint gemäss Bericht, der Saharastaub ein signifikanter Faktor gewesen zu sein.