Es fegt uns fast vom Pass

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22. März 2021 ( Zermatt - VS )

Nach einer guten Nacht packen wir alles zusammen und machen uns für eine kleine Abfahrt talauswärts bereit. Hätte Jasmin nicht aufgepasst, hätte ich meine Jacke in der Hütte liegen lassen. Solche Dinge dürften mir hier oben einfach nicht passieren! Die Schneeoberfläche ist pickelhart, beinahe eisig, aber wir kommen gut auf das der Hütte vorgelagerte Plateau hinunter. Unsere Route führt uns von hier aus hoch über den «Col Durand», an den Gletscherabbrüchen des Hohwänggletschers vorbei. Von unten her betrachtet ist es nicht so ganz klar, wie wir genau zwischen den Felsen und dem Gletscher hochkommen, aber dafür haben wir ja Janik dabei.

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Als wir uns unten für den Aufstieg bereit machen, stellt Angi fest, dass ihre Harscheisen nicht auf das Splitboard passen. Wie kann das nur passieren, ist sie doch öfters damit unterwegs? Hat jemand in ihrer WG Material vertauscht? Es ist besonders für sie ärgerlich und ich habe wirklich etwas Mitleid ob so viel Pech in den ersten 24 Stunden. Mit einer gebrochenen Bindung und ohne Harscheisen 1200 Höhenmeter über einen Gletscher aufsteigen, ist dann doch ein eher ambitioniertes Unterfangen. Was soll‘s, ein Versuch ist’s wert. So beginnen wir langsam mit dem Aufstieg. Ich bin froh, dass unser Tempo etwas langsamer ist als gestern, so schwitze ich nicht so stark und die Feuchtigkeit geht kontinuierlich durch meine Softshell-Jacke nach aussen, ohne dass ich richtig nass werde. Ich finde sowieso, wir haben gerade einen guten Marsch-Rhythmus gefunden. Janik gibt sich grosse Mühe an eisigen Passagen mit dem Pickel für Angi eine gute Spur zu hacken, damit sie nicht abrutscht. Das klappt erstaunlich gut und dort, wo es trotzdem abenteuerlich ist, geht Florian zur Sicherheit unterhalb von ihr, um Sie zu blocken, falls sie rutscht. So kommen wir Schritt für Schritt dem ersten Gletscherabbruch näher. Der Schnee auf dem wir gehen, wirkt kompakt und fest. Der Wind zieht nun stark an, wir steigen höher und höher. Bald können wir die imposanten Séracs des Gletschers aus nächster Nähe betrachten. Ich kann mich fast nicht satt sehen. Diese bläulichen Eisblöcke, die aus dem verschneiten Gelände herausstechen, sind richtig hübsch. Es ist aufregend, in dieser Welt aus Eisblöcken und Schnee angekommen zu sein. Eine mystische Stimmung macht sich in mir breit. Es erinnert mich an den Eispalast der Schneekönigin von Narnia. Auch in unserer Welt wäre ihre Herrschaft nun definitiv vorbei. 

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Stephane bricht immer wieder aus der Gruppe aus, um sich für ein gutes Foto in Stellung zu bringen. Ich amüsiere mich. Immer wenn ich denke: Jetzt gäbe es ein tolles Foto, wenn man sich dort hinstellen und in die Richtung fotografieren würde, steht er wenige Sekunden später dort und knippst. Ich weiss, dass das richtig viel zusätzliche Kondition braucht. Man kann dabei nicht in einem sauberen Rhythmus hochsteigen, man eilt schnell irgendwo hin, macht «Stopp & Go», muss wieder zur Gruppe aufschliessen etc. und gleichzeitig, wenn man ausser Atem ist, die Ausrüstung im Griff haben, Belichtung, Bildkomposition etc. beurteilen. Ich bin wirklich beeindruckt, wie er das bei diesem Wetter in dieser Höhe hinkriegt. Mein Körper läuft gerade auf Hochtouren und ich bin mir bewusst, ich hätte keine zusätzliche Energie dafür. Trotzdem spüre ich, dass ich richtig Saft in den Beinen habe, obwohl wir bereits auf 3200m oben sind und ich inkl. Ausrüstung und Gepäck um die 94 kg auf die Waage bringe. Das Training der letzten Wochen scheint sich auszuzahlen. Das motiviert mich ungemein. Als wir auf das erste Hochplateau kommen, sind wir mit Wind um die 60 km/h und mehr konfrontiert. Es ist klar, nicht nur wir, auch die Luft sucht sich den günstigsten Weg über das Hochgebirge. Interessanterweise ist es kein konstanter Wind. Er kommt und geht wie Wellen am Meer. Mal ist es fast windstill, kurze Zeit später, tobt für 3-4 Minuten ein heftigster Orkan. Wir stemmen uns gegen den Wind, Schnee wird aufgewirbelt, riesige Windhosen aus Schnee fliegen an uns vorbei, der ganze Boden scheint zu fliessen. Da ich nicht kalt habe, macht mir dieser Sturm richtig Spass. Pause machen ist trotzdem eher ungemütlich. Bei einigen Kurzstopps schieben wir ein paar Riegel rein, und trinken was. Der Himmel ist stahlblau, nur ein paar wenige Schleierwolken sind geblieben. Das Matterhorn beobachtet immer noch jede unserer Bewegungen. Unter einer Felswand, die etwas Schutz vor dem Wind bietet, besprechen wir kurz, wie wir uns auf dem Pass oben verhalten und den Abstieg auf der Rückseite beginnen werden. Wenn wir dort oben sind, wird uns der Wind so um die Ohren fegen, dass wir nicht mehr richtig miteinander in der Gruppe kommunizieren können. Es ist von Vorteil, wenn dann jedem klar ist, was zu tun ist. Wichtig ist vor allem, dass es uns nicht irgendwelche Ausrüstungsgegenstände davonbläst. Das Gelände wird oben nicht schwierig sein.

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So steigen wir über die letzten Schneedünen zum 3400m hohen Durand Pass hoch. Oben geht es schnell. Eine zusätzliche Jacke anziehen, Felle von den Skiern nehmen, Skier, Bindung, Stöcke für die Abfahrt bereit machen. Ich bin im Sturm mit mir selbst beschäftigt, bekomme nicht gross mit, was die anderen machen. Florian taucht plötzlich neben mir auf und geht mir zur Hand. Als ich bereit bin und mich aufrichte, sind die anderen auch bereit. Wie Angi es bei diesen Bedingungen und in dieser kurzen Zeit geschafft hat, ihr Splitboard fahrfähig zu bekommen, ist mir ein Rätsel. Offensichtlich kriegt sie alles irgendwie in den Griff, egal wie die Ausgangslage ist. Wir fahren ein paar Höhenmeter unter die Geländekannte, wo der Wind wieder etwas abnimmt und stoppen da kurz. Es scheint so weit alles in Ordnung. Janik begutachtet die erste Steilstufe vor uns, die üblicherweise wegen des Windes bis aufs Blankeis abgeblasen ist. Es scheint aber gar nicht mal so schlimm zu sein: sehr hart, aber fahrbar. Es ist kein Abseilen nötig. Das spart viel Zeit.

Nun liegt eine knapp 4 km lange Gletscherabfahrt auf dem Glacier Durand vor uns. Das Matterhorn verschwindet hinter dem Col Durand und ab jetzt sind es der Dent Blanche und das Obergabelhorn welche auf uns herabschauen. Wir sind die einzigen hier oben, haben die ganze Abfahrt für uns allein. Es hat stellenweise Bruchharscht,  aber die Abfahrt ist trotzdem ein unglaublicher Genuss.

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Der Gletscher ist gut eingeschneit. Trotzdem fahren wir möglichst in Janiks Spur, um nicht in Spalten zu fallen. Die eine oder andere ist doch aus der Entfernung gut sichtbar. Es macht richtig Spass durch diese weite Ebene zu cruisen. Am Tiefpunkt unserer heutigen Tour angelangt, machen wir erst mal eine längere Pause und futtern ein paar Kalorien rein, bevor wir den Schlussaufstieg zur Cab. Mountet in Angriff nehmen. Hier übernachten wir heute.

Wir sind nun im französisch sprechenden Teil unserer Tour. Aber wir sind sowieso multilingual. Da unsere Gruppe ein Deutschweizer/Romand-Gemischtwarenladen ist und auch Janik beides fliessend spricht, sprechen wir unterwegs abwechselnd mal Französisch, mal Deutsch. Je nachdem wer gerade das Gespräch beginnt.

Auch die Cab. Grand Mountet ist noch nicht lange geöffnet. Glücklicherweise ist es in dieser Hütte doch etwas wärmer als gestern. Am späteren Nachmittag trifft noch eine zweite Gruppe mit Bergführer ein. Janik und der andere Bergführer kennen sich gut. So kommen wir mit der Gruppe ins Gespräch. Sie erzählen uns, dass sie in den folgenden Tagen auf derselben Route unterwegs sein werden. Mir scheint, das wird eine angenehme Begleitung.

Es sind Tage wie heute, die mir dieses ungemeine Glücksgefühl geben. Draussen, das raue Wetter spüren, inmitten einer atemberaubenden Arena aus Eis und Schnee, aus eigener Kraft, in toller Gesellschaft unterwegs sein. Es ist für mich das Grösste.

Gute Nacht!