Bishorn

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25. März 2021 ( Turtmann-Unterems, VS )

Obwohl wir in so grosser Höhe sind, habe ich heute Nacht gut geschlafen. Es freut mich, dass dieses Training vom ständigen Skitouren in grosser Höhe, uns körperlich nun langsam einen Vorteil verschafft. Hinter der verglasten Front der Tracuit Hütte, können wir beim Frühstück mitansehen, wie die Sonne einen der berühmten Gipfel nach dem andern in goldgelbes Morgenlicht hüllt. Ich bin wirklich kein Morgenmensch, aber bei solch einem Anblick verschwindet jeder angeborene Morgenkoller.

Da wir nach dem heutigen Aufstieg zum Bishorn nochmals bei der Hütte vorbeikommen, lassen wir den grössten Teil des Gepäcks hier und starten nur mit Material für ein paar Stunden. Glück für mich, denn das macht das morgendliche Packen etwas einfacher.

Als wir hinaus gehen, begrüsst uns einmal mehr die eisige morgendliche Höhenluft. Wir finden trotzdem schnell ein angenehmes Tempo, bei welchem sich ein gutes Gleichgewicht zwischen unserer Körperwärme unter der Jacke und den eisigen Aussentemperaturen einstellt. Es fühlt sich gut an, mit so wenig Gepäck, trainiert und in der Höhe akklimatisiert einen 4000er in Angriff zu nehmen. Ich freue mich darauf, dass kein schmerzender Kampf, sondern eine genussreiche hochalpine Gipfeltour mit viel Gletscher und Skifahren auf uns wartet.
Wir bilden zwei Seilschaften, weil eine einzige lange, das Laufen eher erschwert. Zudem muss Angi ja immer noch ohne Harscheisen auskommen, was Janik zwingt, eine etwas flachere Spur zu laufen und ab und zu die Spur noch etwas mit Pickel und Skier zu optimieren. Deshalb ist die Dreierseilschaft von Jasmin, Florian und Stéphane etwas schneller unterwegs. Da speziell Florian den Berg aber gut kennt, und der Gletscher gut eingeschneit ist, ist das kein Problem. Stéphane nütz den Vorsprung, um zwischendurch ein paar Fotos zu machen. Wie imposant eine Landschaft ist, realisiert man oft erst, wenn auf dem Bild noch eine kleine Gruppe Menschen zu sehen ist. So kommt ihm wohl unsere Distanz zu ihnen für die Bildkomposition ganz gelegen.

Es gibt ohnehin viel zu sehen hier. Wind und Neuschnee der letzten Wochen haben die Firnoberfläche auf dem Gletscher stark geprägt. Riesige Zastrugis sind zu sehen, zwischen denen hindurch wir eine möglichst unanstrengende Spur suchen. 

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In die Bewunderung für diese wunderschönen Schnee- und Eisformationen mischt sich etwas Skepsis darüber, wie wir hier in so unebenem und hartem Terrain wohl hinunter fahren werden. Irgendwie werden wir das schon schaffen. Der Gipfel ist schon früh zu sehen aber das täuscht. Der Aufstieg ist zwar nicht schwierig, zieht sich aber durchaus etwas hin. Ausdauer ist in dieser Höhe hauptsächlich gefragt. Glücklicherweise können wir nun seit geraumer Zeit in der Sonne gehen, denn der Wind hat nun in der Höhe doch wieder etwas angezogen. Ich starre gezwungenermassen immer wieder auf Angis Füsse und muss gestehen, dass die Frau das ganze ohne Harscheisen beeindruckend gut meistert. Ab jetzt soll mir kein Splitboarder mehr jammern, dass er mit seinen Dingern im Hochgebirge benachteiligt sei. Sie beweist gerade, dass einiges mehr möglich ist, als allgemein angenommen wird. 

Wir sind effizient und in einem guten Rhythmus unterwegs. So erreichen wir nach knapp 3.5h Aufstieg, mit zwei kurzen Trinkstopps, das Skidepot kurz unterhalb des Gipfels. Wir deponieren hier die Skier und wechseln für die letzten paar Meter zum Gipfel auf das kurze Seil. Nun komm ich doch noch ins Schnaufen und als ich kurz vor dem Gipfel stoppen möchte, um zwei, drei Mal durchzuatmen, zieht mich Janik gnadenlos am Seil hoch. „Zwei Meter vor dem Gipfel macht man keine Pause mehr!!“ Er hat ja recht...

Auf dem Gipfel gibt es reichlich Platz und wir haben wieder einmal wunderbare Sicht auf die legendären Gipfel des Wallis. Besonders das direkt angrenzende Weisshorn mit seinem Hängegletscher  beglückt uns mit einem spektakulärer Anblick. Sein Nordgrat sieht furchteinflössend aus. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass irgendjemand lebensmüde genug ist, sich über diese Haifischzähne auf den Gipfel hochzukämpfen. Im Übrigen hat man von hier aus, auf diesen wunderbaren Berg, ja einen viel besseren Blick, als wenn man auf dessen Gipfel steht.


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Wir machen ein paar Gipfelfotos, versuchen die Namen der vielen umliegenden Berge zusammenzutragen und steigen dann wieder zum Skidepot ab. Es ist doch etwas frisch hier und die andere Seilschaft hat schon ein Weilchen auf uns gewartet. Beim Skidepot stärken wir uns mit einigen Snacks und machen unsere Ausrüstung für die Abfahrt bereit.

Im oberen Bereich ist die Abfahrt eine eher anstrengende Sache. Man kann fast keine Kurve einleiten, wenn man 15-20cm hohe, sich immer wieder ändernde Eis- und Schneestrukturen in der Fahrbahn hat; geschweige denn eine Kurve angemessen fertig fahren oder einen Schwungrhythmus finden. Glücklicherweise hält dieser Zustand nicht lange an und bald sind die Strukturen von der Sonne genügend weich, dass man sie in der Kurve mit den Skiern wegdrücken mag. Die folgenden 40 Minuten sind deshalb eine Hochgebirgsabfahrt der Extraklasse. Erst etwas knifflige Verhältnisse, wo man technisch alles geben muss und gegen unten ausgedehnte Gletscherflächen, die sogar etwas Carving erlauben. Zum Glück ist der Gletscher gut eingeschneit, denn im Sommer hat es hier so grosse Spalten, dass man ganze Lastwagen darin parkieren könnte. Ich werde mir das im Sommer sicher noch ansehen.

Da die Abfahrt so toll ist, fahren wir weiter hinunter, ein Stück an der Hütte vorbei, bevor wir in einem kurzen Aufstieg wieder zur Hütte zurückgehen, um dort Mittag zu essen und unser restliches Gepäck zu holen. Nach so einer Tour ist ein währschaftes Mittagessen einfach doppelt so lecker, besonders mit der Aussicht auf eine zweite Tour heute, die Traverse in die Turtmannhütte. 

Wir bedanken uns bei der Hüttenwartin für das leckere Essen und machen uns an die nächste Etappe. Es wartet noch mehr Skifahren auf uns. Von der Hütte fahren wir weiter über den weiten Turtmanngletscher hinab, bei welchem zu unserer rechten Seite diverse wild geformte Eisblöcke und Séracs aus dem Schnee hinaus stechen. Sie erinnern uns daran, dass wir uns in der „Wildnis“ und nicht auf einer präparierten Piste befinden. Bei den aktuellen Bedingungen könnte man das beinahe vergessen. Wir montieren für eine kurze Zeit wieder die Felle, um den Gletscherabbruch des Turtmanngletschers zu umgehen und über den Brunegggletscher die Talseite zu wechseln. Wir kommen nun in eine Gegend, die ich bereits vom Sommer kenne und ich bin gespannt wie sich die Landschaft hier im Winter präsentiert. Unter dem Schnee schimmern weiss-gelbliche Granitwände hervor. Ein Zeichen dafür, dass wir uns dem wunderbaren Klettergebiet um die Turtmannhütte nähern. Das Barrhorn, der höchste Wanderweg-Punkt Europas, ist abgeblasen und zeigt seinen schwarzen Rücken inmitten der verschneiten Gipfel. Die für heute letzte Abfahrt führt uns durch diverse Couloirs. Es macht Spass nicht nur auf grossen, weiten Flächen zu fahren, sondern auch etwas ins Gelände, in Schluchten und Bachläufe hineinzugehen. 

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Ein sehr abwechslungsreicher Tag muss ich sagen. Während Florian und Stéphane noch nicht genug haben und noch eine kleinen Zusatzabstecher machen, steigen wir anderen noch die par letzten Meter zur Turtmannhütte hoch.

Janik ist hier sozusagen zu Hause, kennt die Hüttenwarte gut, weil er unweit von hier aufgewachsen ist. Ich freue mich, dass es deshalb wohl ein sehr gemütlicher Abend werden wird und ich meine letzte Erinnerung an die Hütte etwas korrigieren kann. Letztes Mal, war meine Nutzererfahrung hier eher etwas gedämpft.

Ich muss gestehen, obwohl ich heute den ganzen Tag über gut in Form war, bin ich nun doch etwas erschöpft. Als ich auf meine Uhr schaue, sehe ich aber weshalb. Wir waren heute 7.5h unterwegs, mit insgesamt 1320m Aufstieg, 2030m Hinunterfahren, über 18 km Distanz. Ich lege mich deshalb kurz hin und bin froh, dass der heutige Tag so gut gelaufen ist. Es ist schön zu merken, dass wieder alles nach Plan läuft und wir, zumindest gefühlt, wieder alles im Griff haben.